Kleine Abenteuer in der Stadt

Interview mit Maude Fornaro, Verantwortliche für „Check den Wedding“

„Check den Wedding“ hieß das Projekt, mit dem 2016 im Gesundbrunnen Meinungen und Wünsche von Kindern und Jugendlichen zur Entwicklung des Stadtteils erfasst wurden. Es wurde von Maude Fornaro, 2015/2016 Stadtteilkoordinatorin für Kinder- und Jugendbeteiligung, entwickelt und zusammen mit Jens Dorendorf durchgeführt. Ende 2016 sind sowohl ihre Stelle als auch das Projekt ausgelaufen. Zeit für ein Resümee.

Wir treffen Maude Fornaro für ein Interview in der Fabrik Osloer Straße. Mit dabei ist ihr Hund Haku (japanisch für Schneeweiß), der so heißt obwohl er pechschwarz ist. Maude Fornaro dazu: „Das ist eine Lehre fürs Leben: Die Dinge sind nicht immer so, wie sie heißen.“ Haku rollt sich zusammen und schläft unterm Tisch. Es kann losgehen …

 

Wie bist du auf die Idee zu „Check den Wedding“ gekommen?

Check den Wedding fußt auf einem Gesetzestext, dem so genannten Artikel 80 SGBVIII. Der besagt, dass die Verwaltung und vor allem das Jugendamt Wünsche und Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und ihren Erziehungsberechtigten erfassen müssen, um sie bei ihren Planungen zu berücksichtigen.

Wie geschah die praktische Umsetzung?

Die Idee war, hier in Mitte in drei Gebieten verschiedene Formate zu erproben, um zu gucken, wie man das effektiv machen kann. Eines dieser Gebiete war ein Bereich, der ziemlich genau dem QM-Gebiet Badstraße entspricht. Aber die Ergebnisse kann man auch auf andere Gebieten anwenden, weil sie gut die Wünsche und Interessen der Kinder und Jugendlichen hier in der Region widerspiegeln.

Welche Konsequenzen zieht die Verwaltung aus den Ergebnissen eurer Untersuchung?

Die Rückkopplung ist sozusagen mein Sorgenkind. Vor der Durchführung der Untersuchung hatten wir zwei Werkstattgespräche mit dem Jugendhilfeplaner, mit Stadtteilkoordinatoren, mit Quartiersmanagern und Akteuren. Die Idee war, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Rückkopplung nach der Untersuchung gesichert ist. Leider wurden keine Entscheidungen oder Beschlüsse auf höherer Ebene getroffen, die einem erlauben, zu sagen: Die Ergebnisse werden auf jeden Fall genutzt. Sie werden nun in den Kinder- und Jugendbericht 2017 aufgenommen und sie werden auch in das Bezirksporträt einfließen. Mir fehlt allerdings eine Strategiegruppe, eine Entscheidungsinstanz oder ein Kümmerer, der sich auch nach Projektende (das Projekt ist im Dezember 2016 ausgelaufen) um die Fortführung sorgt.

Die Ansprüche der Kids werden sich verändern – wie werden sie in Zukunft erfasst?

Es stimmt, man müsste das wenigstens alle fünf Jahre machen. Besser wäre natürlich jedes Jahr eine Umfrage mit speziellem Fokus. Dies würde auch die Entstehung eines Netzwerkes unterstützen, das dann nicht jedes Mal mühsam wieder aufgebaut werden muss. Damit wäre auch die Durchführung erheblich leichter als beim aktuell abgelaufenen Projekt. Als Gegenwert für den Aufwand würde man wertvolles Input für die Beteiligungskultur und die gelebte Politik der regionalen Instanzen erhalten.

Was genau war dein Anteil an dem Projekt?

Im Rahmen der Stadtteilkoordination Kinder- und Jugendbeteiligung Gesundbrunnen durfte ich die Befragung nicht selbst durchführen. Stadtteilkoordinatoren dürfen nur koordinieren, aber nicht selber handeln. Außerdem hatten wir für das Projekt kein Geld. Weil ich aber das Projekt sehr gern selbst durchführen wollte mit den lokalen Partnern und den jungen Menschen hier, habe ich einen Antrag gestellt bei „Stark gemacht! – Jugend nimmt Einfluss“, das ist der Jugend-Demokratiefonds von Berlin. Und so bekamen wir zum Glück die Gelder, um „Check den Wedding!“ durchzuführen.

Gab es wichtige Partner hier im Kiez?

Unsere Hauptpartner waren drei Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit und zwei Schulen. Das waren der Mädchenclub MÄDEA, der Jugendclub Badstraße, der Jugendmigrationsdienst Café in Via sowie die Gesundbrunnen-Grundschule und die Willy-Brandt-Schule. Natürlich haben wir auch mit anderen Schulen und weiteren Angeboten hier gut kooperiert, aber die fünf waren die wichtigsten. Unser Hauptquartier war bei MÄDEA, die Einrichtung war von Anfang bis Ende dabei und hat viel zum Gelingen beigetragen.

Die Befragung haben Kinder und Jugendliche durchgeführt. Wie kann man sich das praktisch vorstellen?

Unsere Idee war es, dass die Kids die Befragung mit entwickeln. Aber unsere Zeit war begrenzt, und Projekte mit Kindern kann man nicht über einen zu langen Zeitraum anlegen. So habe ich Methoden und Fragebögen entwickelt, und wir haben sie an drei Projekttagen u.a. bei MÄDEA getestet. Mit den angepassten Fragebögen sind die Kids losgezogen, um andere Kinder und Jugendliche im öffentlichen Raum zu befragen. Weitere Fragebögen wurden z.B. in Schulklassen bei Partnerinterviews ausgefüllt. Es gab drei verschieden Fragebögen, mit unterschiedlichen Themengebieten und Schwierigkeitsgrad. Insgesamt wurden ca. 600 Kinder und Jugendliche erreicht, das ist schon ein sehr ordentliches Ergebnis.

Welche Themen wurden abgefragt?

Es gab zwei Hauptziele: Die Nutzung der Ergebnisse für die Berichte der Jugendhilfeplanung und die Erprobung eines Formates zur Einbeziehung junger Menschen in die Jugendhilfeplanung. Daneben war der praktische Nutzen der Befragung unklar. Deshalb war es für mich schwierig zu entscheiden, mit welchen Themen wir uns befassen. Ich habe mich für mehrere Themen entschieden. Die Auswertung war aufgrund der Vielzahl der Fragen viel zu aufwändig, gab dafür Aufschluss darüber, bei welchen Themen es sich lohnt, noch einmal genauer nachzufragen.

Was sind konkrete Ergebnisse?

Ein wichtiges Ergebnis war, dass die Kinder und Jugendlichen sehr viel Zeit draußen verbringen und sie sich deshalb mehr Angebote im öffentlichen Raum wünschen. Wenn man also für Beratung oder ähnliches die Kids treffen will, muss man dahin gehen, wo man sie findet. Und das ist nicht nur in Jugendfreizeiteinrichtungen, sondern in Parks, auf Sport- oder Spielplätzen. Eine weitere Erkenntnis ist, dass Kids oft Angst haben im öffentlichen Raum – durch schlechte Beleuchtung, hohe Hecken oder weil bestimmte Orte von Drogenabhängigen oder Alkoholkonsumenten beherrscht werden. Wenn man mehr Angebote in den öffentlichen Raum bringen würde, könnte man gleichzeitig den Bedarf an weiteren Freizeitangeboten und den Bedarf an Sicherheit entgegenkommen.

Außerdem haben wir herausgefunden, dass sehr viele Angebote und Einrichtungen im Kiez nicht bekannt sind. Aber wenn sie bekannt sind, werden sie meist gut genutzt. Man kann aber durchaus in einer Straße wohnen, in der es einen Jugendklub gibt und nichts von ihm wissen. Jugendkulturelle Einrichtungen wie die Jugendkunstschule sind noch weniger bekannt, zwischen 0 und 5 Prozent. Als Konsequenz daraus würden wir empfehlen, verstärkt öffentlich auf diese Einrichtungen hinzuweisen, etwa durch Wegweiser oder Kiezspaziergänge mit Schulklassen.

Ein viertes Thema: Fußball. Fußball ist Hobby Nummer eins bei unseren Kids. Deshalb würde es sich lohnen, mehr Angebote zu haben. Viele Kinder können ihrem Hobby nicht in dem Umfang nachgehen, wie sie es sich wünschen. Die Kombination aus Fußballplätzen mit echten Toren und Spielplätzen mit variablen Angeboten würde sehr gut ankommen. Aber klar, hier geht es um Investitionen und langfristigere Planung. Auch Schwimmbäder waren ein großes Thema.

Und noch ein sechstes Thema ist den jungen Menschen bei uns sehr wichtig; das ist die Sauberkeit im Kiez. Durch die teilweise sichtbaren Verwahrlosungstendenzen wird die Gesamtstimmung im Kiez beeinträchtigt. Was öfter angesprochen wurde war die Unfreundlichkeit der Leute. Deswegen haben die Mädchen von MÄDEA eine Plakatkampagne gestartet unter dem Titel „Ich und du – wir machen Wedding schön!“ Die Themen der Kampagne sind eben gerade mehr Sauberkeit und mehr Freundlichkeit.

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Wie sahen die Fragebögen aus?

Es gab drei verschiedene Schwierigkeitsgrade, so dass schon Siebenjährige an der Befragung als Interviewer und als Interviewte teilnehmen konnten. Bei den jüngeren hatten wir vor allem Multiple-Choice-Fragen. Je älter die Befragten, desto mehr offene Fragen kamen hinzu. Eine Frage war etwas provokativ. Zur Aussage „Wedding ist für Kinder und Jugendliche der beste Ort auf der Welt “ wurde die Frage gestellt, was passieren müsste, damit dieser Satz stimmt.

Das hat funktioniert?

Ja, sehr gut. Die Antworten waren sehr aufschlussreich. Beim nächsten Mal allerdings würde ich viel weniger Methoden anwenden und mich thematisch beschränken. Die Auswertungsarbeit war schon wahnsinnig aufwändig.

Was ist dir sonst noch aufgefallen im Rahmen der Befragung?

Ein Problem ist, dass vielen Kindern von ihren Eltern verboten wird, den Hof zu verlassen und sie deshalb keine Angebote woanders wahrnehmen können. Das ist ein Thema, das meines Erachtens viel zu selten angesprochen wird. Gerade bei Mädchen ist das gravierend, die dürfen zum Beispiel auch viel seltener Jugendclubs besuchen. Man spricht da oft über Flüchtlingsfamilien, dabei betrifft es genauso Familien, die schon seit 25 Jahren hier sind.

Und das andere Thema, das mir immer wieder begegnet, ist das Unsicherheitsgefühl. Hier bräuchte es Elternaufklärung, denn die Eltern verbreiten sehr viele Ängste. Immer wieder virulent sind Gerüchte um Kindesentführung, wobei die Polizei dieses Problem im Kiez nicht so hoch einschätzt. Aber dadurch, dass an einigen Orten aus Sicht der befragten Kinder beinahe niemand draußen ist außer Obdachlose, Drogenabhängige, Trinker und Kinder, trägt der Zustand nicht zur Beruhigung bei. Unter anderem deswegen gehen Jugendliche sehr gern ins Gesundbrunnen-Center, weil man sich da einfach sicher fühlt.

Welches Erlebnis bleibt dir besonders in Erinnerung?

Im Rahmen von „Check den Wedding!“ haben wir auch ein Fest in der Eulerstraße veranstaltet. Im Kiez sprachen viele noch Wochen nach dem Ereignis mit Begeisterung davon. Ca. 350 Personen nahmen teil. Die Stände waren vor allem von jungen Menschen betreut und alles entstand aus Ideen der Kids. Ganz besonders war auch der politische Teil des Festes: Kinder präsentierten die Ergebnisse der Befragung, diskutierten mit Politiker*innen und unterzeichneten Vereinbarungen. Der Eulerspielplatz wurde für die Dauer eines Nachmittags zum politischen Forum der jungen Menschen im Stadtteil. Der damalige Bezirksbürgermeister Dr. Hanke meinte, es sei das schönste Kinderfest gewesen, das er je erlebt hat. Das ist schon ein schönes Kompliment.

Du selbst bist ja schon seit einigen Jahren im Wedding unterwegs – kannst du ein paar wichtige Projekte nennen, an denen du beteiligt warst?

Seit 2011 arbeite ich immer wieder im Wedding. Mein erstes Projekt hier war für den Verein „Kulturen im Kiez“ mit Gottfried Uebele. Es ging darum, Beteiligungsstrukturen für Kinder und Jugendliche zu entwickeln und diese auch anzuwenden. Wir begleiteten die Umgestaltung eines riesigen Innenhofes am Wittlerhof, veranstalteten Jugendjurys. Dabei konnten Kinder und Jugendliche über die Förderung von Projekte von und für Kinder und Jugendliche entscheiden. Eines meiner Steckenpferde ist die Organisation und Durchführung von Festen mit Kindern und Jugendlichen im Wedding. Wenn ich heute ein Fest hier veranstalten will, weiß ich schon, an wen ich mich wenden kann. Und kaum ist ein Fest vorbei, fragen mich die Kids schon, wann das nächste stattfindet. Und das ist das, was Kinder und Jugendliche sich wünschen: Verantwortung übernehmen zu können und gemeinsam tolle Erlebnisse zu haben. Deshalb kommen auch zu allen unseren Festen, egal wo wir sie machen, immer mindestens 300 Leute.

Wie kommt es eigentlich, dass du als Französin hier in Berlin gelandet bist?

Ich bin in Paris geboren, aber in der Provence aufgewachsen. Als ich 15 war, habe ich neue Luft gebraucht. Dafür bin ich zu einer Gastfamilie ins Allgäu gegangen. In der Stadt habe ich ein selbstverwaltetes Jugendzentrum kennengelernt. Ich war fasziniert, denn so etwas gab es in Frankreich nicht. Ich war jeden Tag dort, wir haben Konzerte organisiert, eine Theke unterhalten, wir haben zusammen gekocht. Ich fand das interessant und habe angefangen, mich mehr mit dem Thema zu befassen. Nach meiner Zeit im Allgäu bin ich wenigstens ein Mal im Jahr dorthin zurückgekehrt, um meine Freunde zu besuchen. Ich mochte die deutsche Sprache schon immer sehr und habe deshalb Germanistik in Paris studiert. Als ich fertig war, dachte ich: Entweder ich bleibe hier und verlerne alles oder ich wage den Schritt und ziehe um. Ein Freund von mir ging nach Berlin und nach sieben Jahren Paris fand ich Berlin sehr entspannt und bin hierher gekommen. Sozialpädagogik habe ich erst hier studiert.

Das Thema Beteiligung war für mich immer sehr wichtig. Ich finde, man braucht seinen Platz in der Gesellschaft und man braucht auch Lebenserfahrungen, nicht nur Schule. Was hier ein bisschen fehlt, sind Rituale. Rituale, mit denen man seine Fähigkeiten testen kann, sich selbst herausfordern kann, Verantwortung übernehmen lernt. So kann man seinen Platz in der Gesellschaft finden. Manche machen das, indem sie in Gangs oder auf die Straße gehen, da finden sie Herausforderungen und ihren Platz in der Gruppe. Das endet nicht immer gut, aber man hat erstmals Verantwortung. Beteiligungsprojekte stellen nach meiner Meinung kleine Abenteuer in der Stadt dar. Herausforderung, Verantwortung, Kreativität, Selbstbestimmung sind dabei die entscheidenden Eckpfeiler


Hier die vier Plakate die die Ergebnisse von „Check den Weding“ vorstellen:

Teil1Erkenntnisse-Check-den-Wedding 4-Plakate

Teil2Erkenntnisse-Check-den-Wedding 4-Plakate

Teil3Erkenntnisse-Check-den-Wedding 4-Plakate

Teil4Erkenntnisse-Check-den-Wedding 4-Plakate

Mehr Infos zu „Check den Wedding!“ hier.

Interview und Fotos: Johannes Hayner