Ich glaube, wir haben hier eine gute Chance

Quartiersratssprecherin Conny Breitkreutz im Interview

Ein sonniger Freitagmorgen im Café Pförtner in der Uferstraße. Wir sind zum Interview verabredet. Conny Breitkreutz kommt – und es geht sofort los. Engagiert und konzentriert berichtet die Kulturmanagerin von den Dingen, die ihr wichtig sind. Das Gespräch dauert gut 30 Minuten. Zur Verabschiedung fragt sie: „Und das merkst du dir jetzt alles?“ Nein, glücklicherweise war das Ditktiergerät dabei …

Wenn man aus dem neuen QM-Gebiet Badstraße in das „alte“ QM-Gebiet Brunnenstraße über die Brücke geht: Gibt es da einen Unterschied, der einem sofort ins Auge fällt?

Ich finde es gepflegter und strukturierter. Allerdings: Dafür, dass es schon so lange QM-Gebiet ist, könnte mehr Sichtbarkeit sein. Und wir wissen auch, dass es im Brunnenviertel künstlerische Arbeitsräume gab, die nicht mehr existieren, zum Teil einst mit QM-Mitteln geförderte Projekte. Oft laufen mit den Geldern auch die Projekte aus. Persönlich finde ich das bedauerlich. Die Frage muss sein, wie es uns gelingt, die Sachen am Leben zu erhalten und eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Deshalb sage ich: Weniger ist mehr, verbunden mit der Herausforderung, es gut zu machen. Das sehe ich als Aufgabe der Politik und der Senatsverwaltung. Wenn sich mit Fördermitteln soziokultureller Raum entwickelt, benötigt dieser Beständigkeit und Kontinuität. Dahinter stehen Menschen, Ideen und Zeit. Daran sollten wir arbeiten!

Hast du den Eindruck, du könntest dies als Quartiersrätin beeinflussen?

Ich habe natürlich den Wunsch, mitzugestalten. Ich lebe jetzt hier im Bezirk seit knapp sieben Jahren. Früher habe ich in Kreuzberg gewohnt, ich kenne die Zeiten, als die Nachbarschaft dort sehr aktiv miteinander war. Ich habe den Wandel miterlebt, als die kleinen Läden, die einen Kiez ausmachen, wie ein guter Schuster zum Beispiel, langsam verschwanden. Die Mieten sind extrem gestiegen. Kleine mittelständische Unternehmen sind so gut wie weg. Wir könnten von anderen Bezirken lernen. Für dieses Quartier würde ich mir wünschen, dass wir das besser machen. Die Möglichkeiten nutzen und in den Austausch mit anderen Quartieren gehen, ihre langjährigen Erfahrungen für Künftiges bei uns nutzen. Wäre doch toll, wenn der eine oder andere hier langfristig für und mit der Nachbarschaft etwas gestalten kann.

Strebt ihr als Quartiersrat einen Austausch mit anderen Quartiersräten an?

Ja, ich fände einen Austausch sinnvoll. In den letzten Sitzungen gab es auch verstärkt das Bedürfnis, mit Institutionen wie beispielsweise BSR, Polizei, Grünflächenamt zu strukturellen Fragen ins Gespräch zu kommen. Auch mit den Fraktionen in der BVV sollten wir reden, um die Interessen und dringenden Bedürfnisse der Anwohner besser zu vermitteln.

Wie seid ihr als Quartiersrat in die Arbeit gestartet?

Was braucht es an Strukturen im Quartier, um nachhaltig die Projektgelder einzusetzen? Welche Voraussetzungen sind notwendig, um mehr Sichtbarkeit im Quartier zu bekommen? Diese Fragen standen am Anfang. Im ersten Schritt soll deshalb ein Netzwerk Kiezbildung entstehen. In dem alle Bildungsangebote im Kiez erfasst und übersichtlich dargestellt werden. So dass man sieht, wo Lücken sind und wo sich Angebote überschneiden. Darüber hinaus haben wir in allen Stadtbezirken das Problem: Einerseits gibt es viele, außergewöhnliche Projekträume, die wir teilweise zu spät wahrnehmen. Und wenn wir dies tun, endet das Projekt oft schon, weil finanzielle Mittel fehlen. Vorhandenes sollte zusammengeführt und in einem Netzwerk integriert werden, damit ein besserer Austausch stattfinden kann. Dinge, die schon vorhanden sind, müssen nachhaltig genutzt und weiterentwickelt werden. Beispiele wären jährliche Netzwerktreffen, das Entwickeln gemeinsamer Visionen und ein Verständnis für die unterschiedlichen Kulturen und Bildungsarbeiten.

Du hast das Problem der Sichtbarkeit genannt. Woran fehlt es da am meisten?

Um mehr Sichtbarkeit im Quartier zu bekommen, gab es die gemeinsame Idee für einen festen Standort. Die Badstraße 10 ist das ehemalige Haus der Volksbildung, und der Großteil der Räume steht seit langer Zeit leer. ‚Haus der Volksbildung‘ steht immer noch an der Fassade! Theoretisch könnte eine Zwischennutzungsphase beginnen mit unterschiedlichen Nutzungen wie Kunst, Ausbildung, Werkstatt, Beratung, Bewegung, Begegnung, Kiezinfopoint. In den letzten Jahren sind dort 1,2 Mio Euro Defizit an Mieteinnahmen entstanden. Ich denke, es fehlt nicht an Mietinteressenten, allerdings benötigen wir dafür die Unterstützung des Bezirkes. Mir ist bekannt, dass das Hochschulübergreifende Zentrum Tanz dringend zwei Arbeitsräume benötigt. Auch fehlt es nicht an der Bereitschaft, gemeinsam Bildungsangebote für und mit Jugendlichen zu entwickeln. Ein Kiezinfopoint für Fragen des täglichen Lebens und ein Café hätten wahrscheinlich auch noch Platz.

Was ist der Wedding für dich?

Für mich ist der Wedding ein sehr bunter und authentischer Bezirk, vor allen Dingen mit sehr viel Potenzial. Die Frage ist, warum das nicht wahrgenommen wird. Was mir wehtut ist zum Beispiel der Vorplatz des Bahnhofs Gesundbrunnen. Man hat dort eine riesige Steinwüste hingesetzt. Würde es in Charlottenburg so einen Vorplatz geben? Mit Sicherheit nicht. Ich wünsche mir von der Bahn und dem Management des Gesundbrunnencenters, dass dieser Platz gestaltet wird. Für die Menschen, die dort einkaufen gehen, die mit dem Zug ankommen oder einfach nur irgendwo auf diesem Platz in angemessener Atmosphäre verweilen möchten. Da geht noch einiges! Dann gibt es noch den Blochplatz, direkt gegenüber. Dort ist der Kinderspielplatz gesperrt. Warum werden dort nicht Sitzgelegenheiten gebaut, damit Menschen Lust haben, sich in diesen Park zu setzen? Auch beim Luisenbad könnte einiges umgestaltet werden. Die Grünanlagen insgesamt benötigen mehr Zuwendung und Pflege, und ein paar innovative Papierkörbe würden dem Gesamtbild guttun. Wir müssen mehr Wertschätzung für den Kiez vermittelt und jeder von uns sollte mehr Verantwortung übernehmen. Natürlich können wir nicht den ganzen Bezirk verändern, aber Step by Step so einiges in Bewegung setzen. Einen Baum pflanzen, der wächst und später Früchte trägt.

Du bist als Vertreterin der Nachbarschaft im Quartiersrat. Welche Möglichkeiten hat die Nachbarschaft, sich einzubringen?

Da kommen wir wieder zur Badstraße 10. Es fehlt einfach ein öffentlicher Ort, wo Nachbarn und Akteure sich treffen und austauschen können. Einen besseren Standort als die Badstraße kann man sich eigentlich nicht vorstellen. Es ist das einzige Haus, das noch im Bestand des Bezirks Mitte ist. Dieser Standort könnte durch die Nachbarschaft und mit der Nachbarschaft entwickelt werden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir das gemeinsam anpacken. Ansonsten bin ich natürlich immer ansprechbar, und das gilt für meine Quartiersratskollegen auch.

Das „Haus der Volksbildung“ in der Badstraße 10

                                                                                                                                                                               

Wie realistisch ist es, dass die Badstraße 10 nach euren Wünschen gestaltet wird?

Wir wollen eine soziokulturelle, offene Nutzung. Wo synergetische und partizipative Prozesse stattfinden können. Natürlich muss der Bezirk anders in die Verantwortung gehen, aber es würden in der Zwischennutzungsphase erste Einnahmen generiert werden. Wir könnten die acht Jahre, oder vielleicht sind es auch nur sechs Jahre, dafür nutzen, überhaupt mal zu schauen, wie das klappt mit dem Standort. Mit den Erfahrungen der Zwischennutzung können wir das künftige Nutzungskonzept entwickeln, was dann eine langfristige Zukunft haben könnte. Und wir hätten endlich mal eine Sichtbarkeit. Im Moment ist alles so klein verstreut. Deshalb wäre das wirklich der ideale Standort.

Wäre das ein Projekt, das auch über QM angegangen werden soll?

Ja, wir haben mit dem QM ein Nutzungskonzept entwickelt. Die Idee dahinter ist, die Baufondsmittel kontinuierlich in den Standort Badstraße 10 zu investieren.

Und wie sind die Reaktionen aus der Nachbarschaft auf das QM? Man hört in bestimmten Kreisen gerade im Wedding immer wieder, dass die Aufwertung eines Gebietes durch QM bisweilen Vorreiter der Gentrifizierung sei.

Erste Anzeichen für Gentrifizierung gibt es natürlich schon so, auch ohne QM. Auf höhere Mietpreise folgt auch alles andere. Es ist unsere Aufgabe, resignierte und enttäuschte Menschen wieder mit ins Boot zu holen. Ich gehe davon aus, dass es viele gibt, die etwas gemeinsam wollen, aber nicht mehr das Vertrauen haben. Allein das erstmal hinzubekommen, ist schon eine große Herausforderung. Ich glaube, wir haben hier eine gute Chance. Wir haben tolle Sachen in diesem Bezirk. Wenn wir anfangen, das zusammen zu führen, können wir durchaus eine wunderbare Sichtbarkeit nach außen schaffen. Ich glaube, dass sich hier etwas zum Guten verändert, in kleinen Schritten. Ich möchte aber keinen Prenzlauer Berg hier, in dem Leute vertrieben werden, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Was mir schwer im Magen liegt, sind unsere älteren Menschen. Die Politik spricht nicht davon, dass die Rente nicht ausreicht für den Lebensunterhalt. Ich finde es beschämend, dass eine Rente nicht die tatsächlichen Lebensunterhaltskosten abdeckt. Unsere Kinder gucken ja auf die älteren Menschen und wie mit ihnen umgegangen wird. Das ist auch ein Thema, das mich bewegt.

Conny Breitkreutz vor dem Hof der Ufer Studios

                                                                                                                                                                               

Wie empfindest du die Arbeit des Quartierrates in den ersten paar Monaten?

Ich finde sie spannend. Ich musste mich erstmal ein bisschen auf den Sprachgebrauch einstellen. Wie was gemeint ist. Bei uns wird ja immer sehr offen geredet und mir waren bestimmte Formulierungen aus der Verwaltung fremd. Wir haben tolle Leute dabei, die sich viele Gedanken machen. Ein paar haben auch gemerkt, dass es viel Zeit und Geduld und Arbeit bedeutet; einige sind mittlerweile nicht mehr dabei. Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit und hoffe, dass wir einiges umsetzen werden. Ich blicke positiv nach vorne. Mit Özlem, Lisa und Ralf (Quartiersmanager*innen Ayaydinli, Tiedemann und Kersten, d.Red.) haben wir starke Partner. Das nächste Jahr wird spannend.

Du bist zwar als Anwohnerin im Quartiersrat, arbeitest aber hier in den Ufer Studios.

Den Ufer Studios ist es ein Bedürfnis, sich einzubringen. Wir werden uns im nächsten Jahr an den Ausschreibungen für die lokalen Plätze beteiligen. Unser Partner Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz hat auch einen Bildungsauftrag. Wir haben eigentlich ein in der Stadt einmaliges Konzept, in dem sich Ausbildung und Information und künstlerische Produktion verbinden. Es wird geforscht, geprobt und entwickelt. Man sieht, was in den letzten acht Jahren mit den Partnern gemeinsam entstanden ist. Für mich ist es ein immer wiederkehrender partizipativer Prozess, aus dem sich etwas Neues entwickelt. Für die Studierenden ist es spannend hier im Wedding. Viele haben inzwischen Projekte in der Nachbarschaft. In den ersten Jahren hatten wir leider nicht so viel Zeit für eine nachhaltige Kiezarbeit, da waren wir zumeist auf uns konzentriert, mussten unsere Existenz sichern. Erst in den letzten Jahren haben wir angefangen, mit Schulen und der Flüchtlingsunterkunft in der Pankstraße, dem Mitte Museum und anderen Trägern zusammen zu arbeiten.

Eine Frage zum Schluss: Wer ist Conny Breitkreutz?

Ich lebe hier im Quartier und arbeitete seit acht Jahren in den Ufer Studios, koordiniere und organisiere das künstlerische Betriebsbüro. Mit Tanz hatte ich früher nichts zu tun, aber natürlich tanze ich gerne. Durch eine Stellenausschreibung bin ich hierhergekommen. Mit den Herausforderungen bin ich gewachsen, und es ist ein laufender Prozess der Weiterentwicklung. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass sich Menschen bei uns willkommen fühlen.

 

Interview und Fotos: Johannes Hayner