Der Wille zur Veränderung
Das QM-Event Nr.1 am Grünstreifen in der Grüntaler Straße
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Gebüsch“, so hieß es früher, und es ging dabei eher um den Schutz der Liebespaare vor neugierigen Augen als um kriminelle Machenschaften. Nun, das Gebüsch heißt heute Hecke, seine grundlegende Eigenschaft aber hat es nicht abgelegt: Es wächst und wächst und wächst …
Das Quartiersmanagement-Gebiet Badstraße ist neu hier im Kiez, seit April 2016 aktiv. In der Anfangszeit geht es darum, zu erkennen, wo Handlungsbedarf für eine Verbesserung des Kiezlebens besteht.
Die Teamleiterin des Quartiersmanagements (QM), Özlem Ayaydinli, schildert ihre Erfahrungen aus den ersten Wochen so: „Wir haben unser Büro täglich geöffnet. Viele Menschen aus der Nachbarschaft sind neugierig, kommen zu uns und fragen, was das Quartiersmanagement ist und welche Aufgaben wir uns stellen. Dabei kommt es oft zu interessanten Gesprächen, in deren Verlauf wir nachfragen, wo denn die Nachbarinnen und Nachbarn selbst wichtige potentielle Aufgaben für uns sehen. Immer wieder hörten wir, dass gerade Mädchen und Frauen es sehr begrüßen würden, wenn sich die Situation am Grünstreifen in der Grüntaler Straße ändern würde.“
Konkret kritisiert wird, dass die Hecke, die zwischen Fahrbahn und Gehsteig liegt, zu hoch sei und der gesamte Bereich gerade bei Dunkelheit als unsicher wahrgenommen werde. Deshalb entschied sich das QM-Team, hier am Nachmittag des 28. Juni eine erste Aktion zu starten, um noch genauer heraus zu finden, welche Maßnahmen zu einer Verbesserung des Sicherheitsempfindens beitragen können. So bezogen die Quartiersmanager Özlem Ayaydinli, Lisa Tiedemann und Ralf Kersten den Platz an der Ecke Grüntaler/ Bellermannstraße und befragten die Bewohnerinnen und Bewohner nach ihren Erfahrungen. Mit dabei hatten sie eine Kiezkarte, auf der jeder seine Lieblingsplätze im Kiez, seine Wunschorte für mehr Grün, sein persönliches Kiezzentrum und Müllecken in der Nachbarschaft mit verschiedenfarbigen Fähnchen markieren konnte. Am Ende des Nachmittags zeigt sich der Badstraßen-Kiez bunt beflaggt, denn viele Menschen nutzten die Gelegenheit, sich an der kleinen Bestandsaufnahme zu beteiligen.
Im Vorfeld der Aktion hat das QM-Team bereits Kontakt zum Grünflächenamt gesucht und die Mitarbeiter haben das Gelände inspiziert. Dabei sagte das Grünflächenamt einen stärkeren Rückschnitt der Hecke zu – allerdings, und auch dies ist natürlich wichtig, unter Berücksichtigung des Brut- und Nistschutzes. Dies verdeutlicht exemplarisch das Spannungsfeld, in dem sich die QM-Arbeit bewegt. In großstädtischen Quartieren gilt es stets einen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen und Ansprüchen zu schaffen, also Kompromisse zu suchen. Hier sind Naturschutz, Erholungsbedürfnis und Sicherheitsempfinden der Anwohner in Einklang zu bringen. Denn als innerstädtische Erholungsfläche profitiert ein Gebiet wie die „Stettiner Trasse“ (so wird der Grünstreifen in der Grüntaler Straße auch genannt) vom Sichtschutz zur Straße hin und davon, dass dort Vögel ihre Nester bauen können. Die Kehrseite ist, dass gerade in den schlecht einsehbaren Bereichen „bemerkenswerte Nutzungsformen“ – so ein Anwohner im Gespräch – anzutreffen seien. Dort werden Alkohol und Drogen konsumiert, die Rasenstücke als Schlafplätze genutzt, oftmals, so eine Frau mittleren Alters, raschelt es im Gebüsch, was sie als unheimlich empfindet. Auch leidet die gesamte Fläche unter Vermüllung.
Besonders anschaulich können die Mädchen von Mädea, dem interkulturellen Zentrum für Mädchen und junge Frauen aus der Grüntaler Straße 21, von ihren Erfahrungen berichten. Gerade in der dunklen Jahreszeit trauen sich die jüngeren Mädchen nicht, alleine von Mädea aus nach Hause zu gehen. Deshalb fordern sie eine bessere Beleuchtung des Gehsteiges hinter der Hecke, denn im Moment richte sich die Straßenbeleuchtung vor allem auf die Fahrbahn und lasse somit dunkle Ecken im Fußgängerbereich entstehen. Um ihr Anliegen zu unterstreichen, sind die Mädea-Mädchen heute mit am Start. Sahra, Marwa und Sagha erzählen, dass sie gern hier wohnen und dass Mädea ihr Lieblingsort im Kiez ist. Aber auch der Spielplatz, auf dem die Aktion stattfindet, gefällt ihnen – wobei sie der silbrig glänzenden Edelstahlkugel gern einen Anstrich in weiß oder pink verpassen wollen, damit sie sich im Sommer nicht so aufheizt. Um die Mädea-Kasse etwas aufzufüllen verkaufen sie Cupcakes für 70 Cent – wahlweise mit Schokolade, Gemüse oder Hähnchenfleisch. Die Cupcakes haben sie gemeinsam mit einer Köchin bei Mädea gebacken, sonst gehen sie dort gern wegen der gemeinsamen Theaterinszenierungen und dem Tanzen hin. Heute freuen sie sich auch über die gemeinsame Malaktion mit dem QM, die Kinder dazu auffordert, Bilder über ihr Leben hier im Kiez zu malen. Natürlich haben sie selber auch kräftig mitgemalt.
Der gesamte Nachmittag wird von den QM-Kollegen als Erfolg gewertet. Quartiersmanagerin Lisa Tiedemann: „Im Laufe des Nachmittags haben wir mit vielen Menschen unterschiedlichen Alters sprechen können. Uns geht es natürlich im Moment auch noch darum, uns vorzustellen und überhaupt erstmal Kontakt zu den Menschen hier aufzubauen. Je öfter wir nach draußen gehen, desto eher werden wir erfahren, was genau den Kiez hier weiterbringt. Solche Aktionen wie heute werden noch viele stattfinden.“ Das nächste Mal sind die Quartiersmanager_innen am 8. Juli am Eulerspielplatz mit dabei, wenn die Ergebnispräsentation von “Check den Wedding!” stattfindet.
Die Ergebnisse der heutigen Befragung werden in den Aktionsplan einfließen, der beim Senat eingereicht wird, um darin konkrete Ziele für die QM-Arbeit zu formulieren. Für Insider: Dieser Aktionsplan ist eine Art Vorläufer für das IHEK, das Integrierte Handlungs- und Entwicklungskonzept, in dem auf längere Sicht festgelegt wird, was genau in einem Fördergebiet mit welchen Maßnahmen erreicht werden soll. Dieses IHEK soll 2017 für den Badstraßenkiez vorliegen.
Die Hecken in der Grüntaler Straße, sie werden weiter wachsen. Aber schön wäre es doch, wenn das Wachstum der Hecken nicht dem Heranwachsen selbstbewusster junger Frauen, die sich angstfrei in ihrem Kiez bewegen wollen, im Wege steht. Denn: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
Dokumentation der Ergebnisse der Befragung:
Lieblingsorte im Kiez:
– Spielplatz Euler Straße/Klever Straße
– Gesundbrunnencenter
– Bibliothek am Luisenbad
– Rosengarten (Humboldhain)
– Park/Wiese hinter dem Amtsgericht
– Gelände Uferstudios
Hier ist für mich das Kiezzentrum:
– S/U-Bahn Gesundbrunnen
– Kreuzung Pankstraße/Badstraße
– Kreuzung Grüntaler Straße/Bellermannstraße
– Vorplatz Amtsgericht
Müllecken:
– Kleiner Spielplatz in der Grüntaler Straße (gegenüber Willy-Brandt-OS)
– Entlang der S-Bahngleise
– Entlang der Grüntaler Straße (und auf den Grünflächen)
– Schönstedtstraße/Badstraße
– Buttmanstraße
– An der Bösebrücke
Hier fehlt noch Grün:
– Mittelinsel Badstraße
– Gesundbrunnencenter
– Jülicher Straße/Behmstraße
– Turnesseyer Straße/Gropiusstraße
Text&Fotos: Johannes Hayner und L.I.S.T. GmbH