Die Menschen sollen einen Stolz entwickeln
Quartiersratssprecher René Gruschinski im Interview
Ein kühler Dienstagmorgen am Gesundbrunnen-Center. Auf der kleinen Freifläche vor dem Klingenden Museum an der Behmstraße 13 sitzt René Gruschinkski mit einer Praktikantin und plant ihren Arbeitstag. Gruschinski ist ein großer, ruhiger Mann mit einem gewinnenden Lächeln. Wir sind hier zum Gespräch verabredet. Um mehr Ruhe zu haben, ziehen wir uns in den lauschigen Innenhof zurück.
Was macht den Badstraßenkiez für dich besonders?
Ich kenne den Kiez solange ich hier arbeite, seit ungefähr zehn Jahren. Für mich ist das Besondere, dass es eine sehr bunte, vielfältige Kiezstruktur gibt, es ein sehr lebendiges und attraktives Quartier ist. Allerdings konnte ich in den zehn Jahren auch einen Wandel beobachten: Es wird “Mitte-mäßiger”, schickere Läden, mehr Autos auf der Straße, es wird schwieriger, einen Parkplatz zu finden. Aber ich kenne im QM-Gebiet vor allem die Straßen im Gesundbrunnen. Unser Museum ist in der Gartenstadt Atlantic, mein Büro ist hier. Was aber vielleicht noch mehr ins Gewicht fällt, ist die Tatsache, dass ich den Kiez nur tagsüber kenne. Das Nachtleben hier ist mir praktisch völlig unbekannt und da geht mir glaube ich schon einiges verloren. (lacht)
Der Badstraßenkiez ist aufgrund gewisser Problemlagen QM-Gebiet geworden. Inwieweit nimmst du die bei deiner Arbeit wahr?
Wir als klingendes Museum haben ja ein berlinweites Einzugsgebiet, manchmal sogar aus dem Umland. Die Problemlage nehme ich insofern wahr, dass Gruppen hier aus der Umgebung einer anderen Ansprache bedürfen als andere. Hier ist eben nicht das Bildungsbürgertum die Schicht, die den Ton angibt. Alle Zahlen sprechen dafür, dass es hier einen höheren Förderbedarf gibt. Sei es der Sozialatlas, die Zahlen der Transferleistungsempfänger, die Zahl der Kinder, die ohne Abschluss die Schulen verlassen. Das bekommt man dann schon mit in seinem Museum. Die haben oft einen anderen Stand als Kinder aus Friedenau oder Pankow, und das bestätigen mir auch unsere Pädagogen. Ganz wichtig: Das ist jetzt keine Wertung, sondern eine Feststellung.
Was siehst du sozial als die größte Herausforderung für den Kiez?
Ich registriere, dass Kinder stigmatisiert werden, weil sie aus einem bestimmten Gebiet kommen. Mit den Kindern hier im Gesundbrunnen wird anders gesprochen als mit den Kindern, die einen Kilometer Luftlinie entfernt im Prenzlauer Berg oder in Mitte unterwegs sind. Das fängt bei den Lehrern an, die schon vorher am Telefon sagen: “Meine Schüler können sich nicht benehmen.” Wichtig wäre mir, dass die Kinder und die Bewohner wieder einen Stolz entwickeln: Ich komme aus dem Gesundbrunnen, hier bewegt sich was und ich bin nicht nur das Ghettokind. Das wäre mir ein wichtiges Anliegen.
Was macht das Klingende Museum, um mit den Kindern im Umkreis in Kontakt zu kommen?
Wir versuchen durch gezielte Aktionen hier im Kiez, unser Angebot bekannt zu machen. So hatten wir eine eigene Veranstaltung bei der Fête de la Musique oder mit den anderen Lernwerkstätten der Lichtburg ein gemeinsames Straßenfest. Wir versuchen schon, lokale Bindung herzustellen. Oft ist es ja so, dass man das, was vor der eigenen Tür liegt, nicht kennt. Dafür kennen dann Menschen vom anderen Ende der Stadt die Einrichtung, das ist manchmal witzig.
Was macht eigentlich das Klingende Museum?
1989 wurde das erste Klingende Museum in Hamburg gegründet, das ist inzwischen in die Elbphilharmonie gezogen. Aufgrund des Erfolges in Hamburg hat sich 2002 ein Förderverein in Berlin gegründet, um hier auch ein Klingendes Museum zu eröffnen. Zunächst gab es keinen festen Standort, sondern ein Klingendes Mobil. Seit 2007 haben wir nun die Räume in der Gartenstadt Atlantic. Bei uns geht es um den pädagogisch begleiteten Erstkontakt von Kind und Instrument, wenn man es fachlich richtig ausdrücken will. Auf deutsch gesagt bekommen bei uns viele Kinder zum ersten Mal eine Trompete, eine Violine oder ein Saxophon in die Hand. Das ist ein Schritt vor der Musikschule, also ein niedrigschwelliges Angebot. Im Lehrplan für die 4. Klasse steht Instrumentenkunde, aber viele Schulen haben kein funktionierendes Instrumentarium. Weil der Unterhalt von Instrumenten einfach aufwändig und teuer ist. Da springen wir gern in die Bresche und viele Schulen nehmen das gern wahr. Wenn Schulklassen zu uns kommen, haben die Kinder danach alle relevanten Holz-, Saiten-, Percussions- und Blechblasinstrumente angefasst und selber ausprobiert. Die Idee ist, ein nachhaltiges Interesse an einem Instrument zu erzeugen.
Wie wird man eigentlich Quartiersrat?
Ich habe mich als Kandidat für den Quartiersrat aufstellen lassen und wurde von den Bewohnern des Kiezes gewählt. Die Funktion des Sprechers kam hinzu, weil im Quartiersrat zwei Personen gesucht wurden, die ihn nach außen vertreten. Und da habe ich mich aufstellen lassen und eine Mehrheit bekommen. Gut ist, dass der Weg von meiner Arbeit zum Quartiersmanagement-Büro kurz ist, weil es dort immer mal was zu tun gibt für einen QR-Sprecher. Und das geht so besser, als wenn man durch die halbe Stadt tingeln muss. Diese Funktion fülle ich nun mit Conny Treichel-Breitkreutz gemeinsam aus. Dieses politische Agieren, der Meinungsbildungsprozess ist für mich neu, aber das war auch einer der Hauptgründe, aus denen heraus ich das Amt übernommen habe. Denn ich wollte dazu lernen über basisdemokratische Entscheidungen, über Fördertöpfe, über Ansprechpartner, über die Institutionen hier im Kiez.
Wie sind deine Erfahrungen nach einem guten halben Jahr?
Das ist unterschiedlich. Es gab viele schwierige Situationen, in denen ich gemerkt habe, dass es nicht so einfach ist, einen Konsens herzustellen. Aber im Großen und Ganzen würde ich meine Erfahrungen als positiv beschreiben. Wir sehen uns ja immer noch am Anfang, haben als QM-Gebiet und Quartiersrat noch den Beginner-Status. Der Quartiersrat ist ein lernendes System, und man wächst da ein wenig rein. Inhaltlich kann ich noch nicht so viel sagen, weil wir zunächst ein paar Projektausschreibungen auf den Weg gebracht haben. Da kann man noch keine Ergebnisse zeigen. Aber es macht einfach Spaß, engagierte und nette Leute zu treffen und man hört auch viel mehr, was im Kiez passiert. Man lernt ihn in einer anderen Qualität kennen. Die Bedarfe von Anwohnern sind ja zumeist ganz andere als die der Institutionen und es ist spannend, den Kiez aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen.
Wie sieht die Quartiersrats-Arbeit praktisch aus?
Wir treffen uns einmal im Monat für circa zwei Stunden. Meistens treffen wir uns an woanders, um verschiedene Orte im Kiez einmal näher kennenzulernen, diese Vielfalt im Kiez zu sehen und sich davon inspirieren zu lassen. Zunächst war die Frage, welches Oberthema wir unserer Arbeit für die nächsten zwei Jahre geben wollen. Das war ganz klar Bildung und Jugend, da gab es ganz breite Zustimmung. Es ist ja auch ein junger Kiez hier. Ein Kiez wächst mit seinen Bewohnern und wenn wir unseren Kiez in Zukunft stärker machen wollen, müssen wir heute die Kids stärken. Ihnen ein gutes Selbstvertrauen geben.
Verläuft die Mehrheitsbildung im Quartiersrat auch entlang der Linien, für wen die Menschen im Quartiersrat sitzen?
Es wird darauf geachtet, dass es im Quartiersrat eine ausgeglichene Mischung aus Anwohnern und Vertretern der Institutionen gibt. Das ist das eine. Und bei den Sprechern gibt es eine doppelte Quotierung: Mindestens eine Frau und ein Vertreter der Nachbarschaft sowie einen Vertreter der Institutionen. Das erfüllen Conny und ich perfekt. Die Stimmung im Quartiersrat ist auf jeden Fall sehr konstruktiv. Und wenn eine Mehrheitsfindung einmal schwierig ist, dann gibt es dafür auch einen Grund. Da muss man neue Ideen und Argumente auch hören und einfließen lassen. Da ist manchmal tatsächlich ein Unterschied zwischen den Anwohnern und den institutionellen Vertretern zu spüren. Die Menschen, die hier leben und ihren Alltag hier verbringen, wollen es manchmal etwas genauer wissen. Aber das ist ja absolut verständlich.
Wie spiegelt sich das Oberthema Bildung und Jugend bei den Projekten wider, die geplant sind?
Das erste Projekt, das jetzt ausgeschrieben und umgesetzt wird, ist ein Netzwerkbildungsprojekt. Es geht darum, alle Bildungsträger hier im Kiez zu vernetzen, Synergien zu sehen und zu nutzen. Dieses Netzwerk, wenn es einmal besteht, soll eine unserer wichtigsten Arbeitsgrundlagen sein. Das ist jetzt natürlich noch kein Projekt mit direktem Anwohnernutzen, sondern vielmehr die Vorarbeit dafür.
Inwieweit gibt es denn Erfahrungs- oder Wissenstransfer aus anderen QM-Gebieten oder von anderen Quartiersräten?
Am Beispiel dieses Bildungsnetzwerkes gesprochen: Die Durchführung wird an erfahrene Träger vergeben, die solche Projekte bereits an anderen Standorten durchgeführt haben. Von daher ist an diesem Punkt Erfahrungstransfer nicht unbedingt notwendig. Aber der Wissens- und Erfahrungstransfer findet in sehr starkem Maße dadurch statt, dass die Quartiersmanagements sehr gut vernetzt sind. Und wir haben ja bei unseren Sitzungen immer jemanden vom QM dabei, der profundes Input zu allen Fragen geben bzw. zumindest erfragen kann. Die Quartiersräte selbst sind nicht so eng verzahnt, das ist durch uns Ehrenamtler auch nicht so gut zu leisten.
Was zeichnet den Job als Quartiersratssprecher besonders aus?
Man nimmt an den Steuerungsrunden teil, in denen man mit dem Quartiersmanagern und den Vertretern von Bezirk und Senat gemeinsam diskutiert. Da geht es auch um konkrete Mittelvergabe. Wir haben eine gleichberechtigte Stimme, so wie das QM und die Verwaltung selbst auch. Da geht es darum, wer Geld für welches Projekt bekommt. Man hat da schon richtig Entscheidungsmacht und Steuerungsmöglichkeit – deshalb heißt es ja auch Steuerungsrunde.
Der Job ist ehrenamtlich?
Ja, komplett ehrenamtlich. Wir haben eine Ehrenamtskarte vom Land Berlin bekommen, damit kann man für 20% weniger in den Zoo oder in andere Einrichtungen.
Wenn man so ein Amt antritt, haben viele ja ein Projekt im Kopf, das sie unbedingt nach vorn bringen wollen. Welches ist das bei dir?
Mir persönlich liegt viel daran, die Angebote für Kinder und Jugendliche im Kiez bekannter zu machen. Viele sind aufgrund von nicht vorhandenem Wissen, Desinteresse oder mangelnder Kommunikation nicht präsent. Ich würde mir eine digitale Unterstützung, eine App wünschen. Da können die Kids nach der Schule in ihrem Smartphone schauen, was los ist. Hier gibt es jeden Tag für eigentlich jede Interessenlage tolle Angebote, die oft wenig genutzt werden. Dies zu ändern sehe ich als eine meiner Aufgaben im Quartiersrat.
Ein paar Worte zu dir persönlich?
Ich bin Berliner, 1981 geboren. Am Klingenden Museum habe ich eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gemacht. Seit 2006 bin ich hier Projektleiter. Durch das Klingende Museum bin ich ja indirekt ohnehin im Kinder- und Jugendbereich beschäftigt. Durch den Quartiersrat will ich das jetzt noch auf etwas breitere Füße stellen. Und ich freue mich, jetzt ein wenig über den Tellerrand des Klingenden Museums schauen zu können. Ich bin gespannt auf die nächsten zwei Jahre, was wir genau hier bewirken können. Es wäre spannend, sich am Ende der Quartiersrats-Zeit nochmal zusammen zu setzen und zu sehen, was aus den Ideen geworden ist, die wir heute besprochen haben.
Interview und Fotos: Johannes Hayner