Eine Stimme haben und gehört werden
Die Willy-Brandt-Schule gestaltete ihren Schulhof gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern um
Der Schulhof ist der soziale Marktplatz schlechthin für Kinder und Jugendliche. Dort tauschen sie sich aus, spielen, streiten und vertragen sich wieder. Gute Vorsätze, aber auch Pläne für allen möglichen Unsinn entstehen hier. Die Schülerinnen und Schüler verbringen viel Zeit dort und es lohnt sich deshalb, Schulhöfe als Brennglas des sozialen Miteinanders einer Schule genauer zu betrachten.
Leider sind Schulhöfe trotzdem oft die am wenigsten gepflegten Orte an Schulen und die, denen nur spärliche Aufmerksamkeit zu Gute kommt. Eine große Herausforderung für den Zustand von Schulhöfen ist zusätzlich die Zerstörungslust, die Schülerinnen und Schüler bisweilen Inventar und Anlagen entgegenbringen. In unserem Kiez gibt es nun ein Beispiel, wie so ein Schulhof den Wünschen und Bedürfnissen der Nutzer und Nutzerinnen entsprechend umgestaltet wurde. Und dafür, wie das so geschehen ist, dass die Schülerinnen und Schüler diesen Schulhof als ihren empfinden, ihn nicht nur nicht beschädigen oder verunstalten, sondern auch andere davor zurückhalten, dies zu tun.
Baubesprechung unter den Studierenden
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Ortstermin in der Willy-Brandt-Schule. Es sind Ferien, entsprechend ist das Schulgebäude leise und leer. Schulleiterin Andrea Franke empfängt mit festem Händedruck, freundlichem Lächeln und einer selbst bereiteten Tasse Kaffee. Blick zurück in den Sommer. Damals stand der Schulhof Kopf, kein Stein blieb auf dem anderen, Totalüberholung mit Tiefgang. Wie kam es dazu? „Die Idee kommt aus der Beuth-Hochschule. Frau Professor Rohlfing rief eines Tages hier an und fragte, ob die Umgestaltung unseres Schulhofes gewünscht sei. Was für eine Frage!“, lacht Frau Franke. Dass die Möglichkeit bestand, ihren Schulhof aufzupimpen, verdankt die Willy-Brandt-Schule einem Projekt, das die Beuth-Hochschule verfolgt. Jahr für Jahr gibt es ca. 60 Viert- oder Fünftsemester aus den Fachbereichen Garten- und Landschaftsarchitektur, die sich in einem berufspraktischen Projekt ausprobieren sollen. Zehn davon wollten einen Schulhof neu gestalten. Die Idee dahinter ist, dass die Studierenden einmal das praktisch ausführen, was sie planerisch erarbeiten. Als letzte Schule profitierte der Schulhof der Ernst-Schering-Schule 2016 davon. Aber der ist viel kleiner und die Herausforderung an der Willy-Brandt-Schule somit eine größere.
Das grüne Klassenzimmer, kommunikatives Herzstück des neu gestalteten Schulhofes, hier ausnahmsweise leer
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Tatsächlich brannte der Zustand des Schulhofes den Verantwortlichen schon länger unter den Nägeln. Bereits Anfang der 2010er Jahre – Andrea Franke ist erst 2015 an die Schule gekommen – gab es einen Schülerworkshop zum Thema Neugestaltung des Schulhofes. Damals entstand auch ein Modell von den Ideen der Schülerschaft, allerdings war es mit Swimmingpool, Liegewiese und Bolzplatz doch ein wenig zu weit von realistischen Möglichkeiten entfernt, als dass eine Umsetzung winkte. Geblieben aber ist das Bedürfnis, den Platz, auf dem die mehr als 500 Schüler jeden Tag die Hofpause verbringen, zu verschönern. Denn der Schulhof war nicht viel mehr als eine ungestaltete Einöde, viel zu klein und viel zu ungepflegt.
So fing die Schule 2016 an, die Umgestaltung zu planen. Ansatz war, dass die Schülerinnen und Schüler selbst bei ihrem neuen Schulhof Ideengeber sind. So wurden in den Klassen Vorschläge gesammelt, die bei einem großen Meeting von den Klassensprechern vorgestellt wurden. Aber wie muss man sich diese Ideen vorstellen – dem Anspruch eines Hollywood-Kulissenbauers folgend oder quadratisch, praktisch, gut? Schulleiterin Franke dazu: „Unsere Kinder und Jugendlichen waren erstaunlich stark auf die Realisierbarkeit ihrer Ideen fixiert. Wir mussten sie erst ermuntern, ihre wirklichen Wünsche einzubringen, auch mal einen Dreh weiter zu spinnen. Das kennen wir aus unserem Schulalltag: Viele unserer Schülerinnen und Schüler lernen bei uns erstmals kennen, dass sie eine Stimme haben und auch gehört werden.“
Während der Bauarbeiten
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Alle Beteiligten waren denn auch erstaunt, dass diejenigen, die eigentlich die Umsetzung im Auge haben sollten, also die Studierenden der Beuth-Hochschule, mit ihren Ideen mutiger und exzessiver waren als die Schülerinnen und Schüler der Willy-Brandt-Schule selbst. Die Studierenden hatten drei Entwurfsskizzen für den Schulhof angefertigt. Diese wurden mit den gesammelten Ideen der Schülerschaft abgeglichen und eine Entwurfslinie vereinbart. War es die Altersnähe der beiden Gruppen, lag es daran, dass die Studierenden das Modell aus dem alten Projekt gesehen hatten, war es Intuition?! Jedenfalls waren die Ideen der Schülerinnen und Schüler mit denen der Beuthler ausgesprochen kompatibel, beide Gruppen fanden sich in der finalen Planung sehr gut wieder.
Für die Umsetzung des Vorhabens blieben den Studierenden drei Wochen. Das war angesichts des Umfanges der Arbeiten und der geplanten Umsetzungsart – Studierende und Schüler gemeinsam – zu kurz. Deshalb drängte Andrea Franke darauf, dass nur das begonnen wird, was in diesen drei Wochen, den letzten des Schuljahres 2016/2017, auch abgeschlossen werden kann.
So entwickelte sich als zentrales Gestaltungselement das grüne Klassenzimmer, ein großzügiger Sitz- und Aufenthaltsbereich mit an ein Globe-Theater aus der Shakespeare-Zeit erinnernden steinernen Sitzstufen mit Holzabdeckung. Hinzu kamen Beete, Hochbeete und eine Neupflasterung des Hofes. Dem Lehrerkollegium der Schule war wichtig, dass die Umgestaltung nachhaltig ist, deshalb sind die entwickelten Elemente robust und widerstandsfähig. „Aber“, so Frau Franke, „wir wollten nicht nur von den Materialien her nachhaltig sein, sondern auch vom Projekt her selbst, die Erhaltung sollte für uns im Schulalltag zu bewältigen sein.“ Deshalb sind die Bepflanzungen der Beete und Hochbeete wenig pflegeintensiv. Außerdem gibt es nun das Wahlpflichtfach Schulgarten, in dem sich auch um die Erhaltung der Schulhofbegrünung bemüht wird.
Zur Umsetzung der Pläne rückten die Studierenden mit schwerem Gerät an, Bagger, Rüttelplatten und Bohrhämmer inklusive. Zu ihnen gesellten sich Schülerinnen und Schüler, die diese Arbeiten als Projektwochen absolvierten. Andrea Franke erzählt schmunzelnd, dass sich auch einige Schüler gemeldet hätten, um sich vor den eigentlichen Projektwochen zu drücken. Aber gerade diese entwickelten sich dann oft zu tollen, zuverlässigen und enthusiastischen Mitarbeitern. Überhaupt: „Obwohl diese Zeit sehr fordernd war – Kinder und Jugendliche sind es ja nicht gewohnt, so lange so konzentriert zu arbeiten – war es für die meisten eine großartige Erfahrung, von der sie heute noch gern erzählen.“
Der neue Schulhof ist deutlich grüner
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Jeder der Studierenden bekam als Vorarbeiter – als Bauleiter, Tischler, Pflasterer, Zimmermann etc. – 5 bis 10 Schülerinnen und Schüler zur Seite gestellt. In den ersten paar Tagen mussten sich beide Seiten erst aneinander gewöhnen. Die Kids mussten zunächst die Autorität der Studis checken, nach dem Motto: Kann die oder der mir etwas sagen – oder nicht? Das Eis brach durch das gemeinsame Arbeiten – und die gemeinsamen Frühstücks- und Mittagspausen, in denen die neue Mensa ihre Testphase durchlief. Immerhin waren 70 Menschen zu versorgen: 10 Studierende und 60 Schüler. Das Essen in dieser Zeit hat übrigens die Schule gesponsert, als Dankeschön für den Enthusiasmus aller. Und – es waren ja Projektwochen – auch das Essen kam aus Schülerhand. Denn die Küche der Mensa erlebte mit den Schülerinnen und Schülern ihre Feuertaufe.
Schön und gut, mögen sich die Leser nun sagen, aber wie finanziert man so ein Projekt? Schulleiterin Franke erzählt, dass die ca. 40.000 Euro, die dafür aufgewendet wurden, aus dem normalen Schulbudget nicht zu stemmen wären. Gespart habe man schon extrem durch das Konzept des Projektes, denn dieses Geld ging praktisch komplett für die Materialien drauf. Die sonst noch hinzu kommenden Kosten für die Arbeiten entfielen, weil sowohl Studierende als auch Schülerinnen und Schüler keine Lohnkosten verursachten.
Der Hof wurde komplett neu gepflastert
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Wichtig sei gewesen, dass die Schule im Vorfeld alle wichtigen Entscheidungsträger wie Stadtrat, Schulamt und Grünflächenamt mit ins Boot geholt haben. Es gibt einen bU+ (bauliche Unterhaltungen plus) genannten Sondertopf in Berlin Mitte, der Schulen die Möglichkeit gibt, anstehende größere Vorhaben umzusetzen. Carsten Spallek, Bezirksstadtrat für Schule, Sport und Facility Management, wollte mit diesen Mitteln bestehenden Schulen Unterstützung zukommen lassen. Und so kam das Gros der eingesetzten Mittel aus diesem Programm. Frau Franke ist für diese Unterstützung sehr dankbar, auch dem Stadtrat. „Carsten Spallek ist für uns ein toller Ansprechpartner mit offenen Ohren für unsere Probleme.“ Das QM Badstraße übrigens unterstützte das Projekt mit 1500 € aus dem Aktionsfonds, die für Geräte zur Pflege des Hofes ausgegeben wurden.
Nun hat der neue Schulhof schon ein paar Monate auf dem Buckel. Wie wird er angenommen? „Gerade das grüne Klassenzimmer ist immer bevölkert. Und die Schülerinnen und Schüler identifizieren sich voll damit. Neulich kam eine Schülerin und beschwerte sich, dass ein Junge seine Initialen auf das Holz geschrieben hat. Aber ich finde das toll: Er hat dort seinen Namen gelassen. Auch wenn vielleicht nicht alles so clean ist, die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass wir länger Freude daran haben“, berichtet Franke stolz.
Von dem Projekt bleiben nicht nur die Steine, Bäume und Bänke, sondern auch etwas Ideelles. „Wir haben den Schülern gezeigt, dass wir ihre Projekte, wenn sie dafür kämpfen und das wirklich wollen, auch voll unterstützen und ihnen dabei helfen. Es sind die Ideen der Schülerinnen und Schüler, die hier Wirklichkeit wurden. Für den Zusammenhalt der Schule war das Ganze sehr, sehr wichtig.“