Rückt dem Müll zu Leibe!
Aktion von Sicher, Sauber, Grün an der Stettiner Trasse
Hier eine alte Zeitung, dort eine zerschlagene Bierflasche, ein alter Sessel, ein defekter Staubsauger, unzählige Kippen und überhaupt Müll jeglicher Art: 2017 beobachtet im Grünzug in der Grüntaler Straße, bekannt unter dem Namen “Stettiner Trasse”. Damals wurde das beseitigt, aber es scheint nachzuwachsen. 15 Mädchen des Mädchenprojektes MÄDEA bei der Stiftung SPI und ihre Pädagoginnen treffen sich am 18. Mai, um hier erneut Müll, Unrat und Sperrmüll zu beseitigen.
Aktiv auf der ganzen Stettiner Trasse: Die Sammlerinnen von MÄDEA
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Sicher, Sauber, Grün-Projektleiter Felix Müller
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Es kommt wieder ein stattlicher Haufen mit einer Couchgarnitur als zentrales Element zusammen, der an der Ecke zur Bellermannstraße anderntags von der BSR abgeholt wird. Die BSR hilft darüber hinaus mit Kehr- und Sammelutensilien aus, die mit dem lustigen Wortspiel “KEHRENBÜRGER” verziert sind. Und so ausgerüstet schwärmt das Team in die Grünanlagen aus, durchforstet Wiesen, Gebüsche und Anlagen, säubert Wege und Plätze und forciert somit den guten Gesamteindruck, der nach der Aktion herrscht. Mit dabei ist Felix Müller, seit zwei Monaten Projektleiter des QM-Projektes “Sicher, Sauber, Grün”. Der examinierte internationale Forstwirt, der die Aktion leitet, lernt im Wedding seine Heimatstadt noch einmal neu kennen. Der Müll, der teilweise traurige Zustand der Grünanlagen, die fehlende Einsicht zur Verhaltensänderung – hier im Wedding sei es noch ein wenig extremer als in Schöneberg oder Wilmersdorf. Den Fokus des Projektes will er deshalb noch stärker auf Nachhaltigkeit legen.
Nach dem Sammeln gehen alle zu MÄDEA
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Dieses Graffiti stört nicht: Wandzeichnung bei MÄDEA
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Nach getaner Arbeit versammelt man sich am Müllhügel, um sich zum erfolgreichen Abschluss zu beglückwünschen und sodann zum MÄDEA-Headquarter in der Grüntaler Straße zu wandeln. Dort wartet Felix Müller mit unglaublich leckerem selbstgebackenem Kuchen auf, der allerdings – Ordnung muss sein – erst nach einer kurzen Frage- und Antwortrunde gereicht wird. Begleitet vom Kuchenduft und in Anwesenheit von Quartiersmanagerinnen Özlem Ayaydinli und Magdalene Loda erhalten die MÄDEA-Mädchen die Gelegenheit, zu erzählen, was sie am Zustand der Grünanlagen und des Kiezes im Allgemeinen in Bezug auf Sicherheit und Sauberkeit am meisten nervt.
Mit ihrem Kennerblick, der stellvertretend für alle Kinder und Jugendlichen aus dem Kiez gelten mag, berichten sie von dunklen Ecken an den Gebüschen, von einem Spätkauf, vor dem sich regelmäßig Trinker versammeln, Müll hinterlassen und die Kinder ansprechen, von unheimlichen Durchgängen und von obskuren Erfahrungen mit Drogenkonsumenten und Betrunkenen. “Warum müssen die immer Flaschen kaputt machen?” fragt eines der Mädchen. Haben Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, eine Antwort? In der Runde jedenfalls erscheint es allen grund- und sinnlos … Und das Problem der Beseitigung, so viel ist sicher, hat die Allgemeinheit und die daraus resultierende Verunsicherung auch.
Schön, dass Müller gegenüber Mädchen und Pädagoginnen bekräftigt, dass sie sich bei allen Vorfällen immer an ihn wenden können, dafür sei das Projekt vor allem eingerichtet worden. Die Leiterin, Frau Bachor, freut sich über eine andere Leistung von Sicher, Sauber, Grün, indem sie sich für den “freien Blick über die Hecken” bedankt, der es vielen Kindern nun leichter macht, sich angstfrei durch die kleine Parkanlage in der Grüntaler Straße zu bewegen. “Aus einer toten Gegend wird so eine lebendige Straße”, lautet das erfreuliche Fazit der Dame. Auch sonst seien gute Veränderungen in der Grüntaler zu beobachten: Läden werden bezogen, Fassaden erneuert, kleine Details erfreuen das Auge. In den fünf Jahren, in denen MÄDEA hier residiert, habe sich viel zum Guten verändert.
Eine angeregte Diskussion, moderiert von Felix Müller
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Felix Müller lädt alle Anwesenden in die “Wilde 17”, den Gemeinschaftsgarten in der Böttgerstraße, ein. In den dort mit Projektmitteln installierten Hochbeeten könne jeder gärtnern und selber erleben, wie Nahrungsmittel praktisch ohne viel Zutun entstehen. Gerade für Kinder sei dies eine wichtige Erfahrung, berichtet Müller später im Gespräch. Demnächst möchte er auch mobile Hochbeete im Stadtraum – etwa in der Bellermannstraße oder auf der Stettiner Trasse – aufstellen. In dieser Sache verhandelt er gerade mit dem Bezirksamt, das Genehmigungsverfahren sei aber langwierig und der Ausgang keineswegs sicher.
Im Lauf der Diskussion – immer noch ohne Kuchen zwischen den Zähnen – kommt die Runde nun zum Thema Gewalt. Woran liege es denn, will ein ungefähr 10-jähriges Mädchen wissen, dass so viele Jugendliche gewalttätig seien? Einfache Frage, schwierige Antwort, wie so oft an diesem Nachmittag. Das Vorbild der Eltern kommt zur Sprache, Frustration und altersbedingte Irritationen, dass mit Gewalt auf etwas zu reagieren als cool gelte und dass manche Kinder zuhause selbst Gewalt erfahren. Eine Mischung aus Gründen, die für die Kinder vielleicht nicht ganz nachzuvollziehen sind, aber immerhin zeigt, dass im Hintergrund für ein auffälliges Verhalten von Kids oft Dinge mitschwingen, die gewichtig sind. Und die eine einseitige Verurteilung der “Übeltäter” oft nicht erlauben.
Und während der Autor sich noch fragt, ob Graffiti in welcher Kombination mit einem oder zwei “F” oder “T” geschrieben wird (so wie hier ist es richtig), sind die mehr oder weniger kunstvollen Malereien auch schon Diskussionsthema. Vor allem die Erwachsenen in der Runde wünschen sich, dass die wilden Schmierereien an den Hauswänden verschwinden. Ein Hauch Zitronenduft zieht durch den Versammlungsraum als vorgeschlagen wird, ein durchgängiges Band an allen Häusern der Straße zu befestigen, auf dem Graffiti erlaubt ist. (Fragen der Realisierbarkeit wurden zunächst hintenan gestellt, heute ging es erstmal um Probleme und Ideen.)
Und schließlich erzählten die Mädchen noch von einer Initiative, die sie im Moment verfolgen. Unter dem Titel “Wir wollen eine Regierende Bürgermeisterin für Berlin” versuchen sie, Aufmerksamkeit für das Thema zu erzeugen, inwieweit Frauen und Mädchen an der Ausübung politischer Macht überhaupt beteiligt sind. Sie trommeln für mehr Selbstverständlichkeit bei der Besetzung der Ämter durch Frauen. Um den Menschen bewusst zu machen, dass Frauen große Leistungen für die Gesellschaft erbringen, gestalteten sie gemeinsam mit den Betreuerinnen ein Würfelspiel mit zwei Würfeln. Auf dem einen sind große Berliner Frauen wie Louise Schröder abgebildet, auf dem anderen Zitate von ihnen. Nun müssen die Spielerinnen und Spieler die Zitate den Porträts zuordnen.
Endlich Kuchen, hier am Beispiel Zitrone
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Vorfreude kann so schön sein, aber die Bescherung noch viel besser: Eine gute Dreiviertelstunde dauerte die Diskussion. Aber nun – einerseits endlich, andererseits könnten wir ja noch viel länger so angeregt miteinander sprechen – wird endlich das Messer an die beiden Kuchen (Schoko und Zitrone) angesetzt und zu Tee und Kaffee stellten sie unter Beweis, dass sie zwar gut duften, aber noch besser schmecken. Das ist also die Kirsche auf der Sahne: Felix Müller ist nicht nur ein engagierter Projektleiter mit einem offenen Ohr für die Themen der Kinder, sondern auch ein ausgezeichneter Bäcker!
Wir sind mit dem Kuchen zufrieden, Felix Müller mit dem Ablauf der Veranstaltung. Zwar hätte er sich noch etwas mehr Beteiligung gewünscht, aber so kam es zu dem intensiven Austausch mit den Mädea-Mädchen. Für ihn, der noch nicht so lange im Projekt arbeitet, ist es sehr wichtig zu hören, was bei den Kindern und Jugendlichen im Kiez los ist. Und die Mädchen bekommen das Gefühl, ernst genommen zu werden mit ihren Problemen, Hoffnungen und Anliegen. So sieht Felix Müller auch weiterhin die Kommunikation als wichtigen Eckpfeiler des Projektes. Für dieses Jahr plant er auf jeden Fall eine größere Diskussionsrunde und einen Rundgang durch den Kiez als Bestandsaufnahme. Ob es dann wieder Kuchen gibt, steht noch nicht fest. Zu wünschen wäre es jedenfalls …
Text und Fotos: Johannes Hayner