Café inklusiv(e)

Das Café Kaspar in der Jüli 30

Hell und freundlich liegt er an der Ecke Jülicher-/Osloer Straße, der inklusive Kieztreff Jüli 30. Wer will, kann jetzt über die Hausnummer rätseln, der Rest liest einfach weiter: Es ist natürlich die Nummer 30. Jülicher Straße, eh klar. “Wolltet ihr nicht um drei kommen?!” grinst uns Ole Zwingelberg an, als wir kurz vor vier die Ladentür öffnen.

Café Kaspar ist heute, wie immer um 15:00 Uhr am ersten und dritten Dienstag eines jeden Monats, an diesem Tag das letzte Mal vor Weihnachten. Da lohnt es sich, pünktlich zu sein, das erkennen wir sofort am ansprechend hergerichteten Kaffeetisch. Noch ist nichts angebrannt und wir nehmen inmitten der Runde Platz, die sich hier eingefunden hat. Es sind Menschen mit Assistenzbedarf, oder, wie Jüli 30-Leiter Ole Zwingelberg sagt, Menschen mit Handicap, “das ist mir lieber, einfacher und da wissen auch alle, was gemeint ist.”

Heute scharen sich neben Ole Zwingelberg und uns zunächst Manuela, Johanna, Paul, Felix und Isabella um den großen ovalen Tisch. Später kommen noch einige mehr. Die Stimmung ist gelöst und locker. Zu frisch gebrühtem Kaffee gibt es Kirschkuchen, den Manuela gebacken hat, und Weihnachtsplätzchen, die beim letzten Treff der Runde entstanden sind. Beides sehr lecker. Im Hintergrund läuft Weihnachtsmucke, und so gibt es die entspannte Gelegenheit, ein paar Fakten abzufragen. Ole Zwingelberg berichtet, dass er seit Juni 2023 die Jüli30 leitet. Vom ersten Tag an war es ihm besonders wichtig, den inklusiven Charakter des Kieztreffs konsequent auszubauen. Das fängt bei der Gestaltung der Räume an, die in vielerlei Hinsicht barrierefrei sind – offen, hell und freundlich, aber auch reizarm, also ohne viel Ablenkung durch z. B. Plakate in den Fenstern. Dies kommt der besonderen Aufmerksamkeitsfähigkeit der Nutzerinnen und Nutzer entgegen.

Cafe Kaspar Auswahl Bearbeitet 5
Bei Kaffee und Kuchen sind wir direkt Teil der Gruppe, Ole Zwingelberg (Mitte) hilft beim Kennenlernen
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Der Kieztreff existiert seit dem 01.04.22 an der markanten Ecke kurz vor der Bösebrücke. Nachdem die Kaspar-Hauser-Stiftung, Träger der Jüli 30, 2016 im Obergeschoss einige Wohnungen für das ambulant betreute Wohnen übernahm, kam die Idee auf, dort ein “politisches Café” für den Kiez einzurichten. Wie bei so vielen Projekten machte dann Corona einen Strich durch die Rechnung: Über zwei Jahre lag der Laden brach. Die Zeit wurde genutzt um einen Projektantrag bei Aktion Mensch für einen inklusiven Kietztreff zu stellen. Eine Projektförderung für fünf Jahre wurde zugesichert.

Inzwischen ist Beate Ufertinger eingetroffen, Abteilungsleiterin Wohnen und Pflege bei der Kaspar-Hauser-Stiftung. Sie berichtet im bairisch geprägten Dialekt, dass die Sozialraumorientierung im Bundesteilhabegesetz ein wichtiger Aspekt sei und gleichzeitig die Leitidee für den Kieztreff bildet. Einen Ort der Begegnung zu schaffen für Menschen mit und ohne Assistenzbedarf – das war es, was die Verantwortlichen hier wollten. Und so wurde im Frühling 2022 die Jüli 30 eröffnet.

Cafe Kaspar Auswahl Bearbeitet 1
Beim Kochen kommt man ins Schwatzen, hier Johanna (links) und Abteilungsleiterin Beate Ufertinger
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Wie läuft der Kieztreff so, fragen wir nach?! Beate Ufertinger: “Ein wenig anders, als wir es erwartet haben. Nachbarschaftsarbeit ist für uns eben ein neues Feld. Wie der Treff nachbarschaftlich angenommen wird, war eine Black Box.” Allerdings waren es nicht unbedingt negative Überraschungen, die sie erwarteten. Es stellte sich heraus, dass gerade die neuen Räumlichkeiten sehr viel Austausch ermöglichen. Denn viele Vereine, Selbsthilfegruppen, Chöre und Menschen mit ähnlichen Anliegen sind händeringend auf der Suche nach Räumen, in denen sie sich treffen und üben, lernen, diskutieren, gestalten oder auch nur sein dürfen. Grundvoraussetzung ist, dass die Formate, die in den Räumen stattfinden sollen, inklusiv sind, also niemand sollte sich ausgeschlossen fühlen und Teilhabe von Menschen mit Assistenzbedarf liegt dem Jüli 30-Team besonders am Herzen. Auf der anderen Seite war es schwieriger als gedacht, diese Menschen einzubeziehen. Ole Zwingelberg: „Grundsätzlich ist es schwierig Menschen mit hohem Assistenzbedarf als Besucher zu erreichen, sie sind meist auf Begleitung durch Assistenten  und Fahrdienste angewiesen. Für diese Zielgruppe hat sich vor allem durch die Coronazeit vieles verändert und leider nicht zum Positiven.“ Deshalb ist es namentlich für Menschen mit hohem Assistenzbedarf schwierig, an Veranstaltungen hier teilzunehmen. Nicht alle Leute, die kommen, haben zwingend etwas mit der Kaspar-Hauser-Stiftung zu tun. Einige kennen sich als Kollegen aus Werkstätten hier im Kiez, z. B. bei USE und gelangen so hierher.

Aber nun wird gemeinsam gekocht; saisonal passend natürlich Gans – oder fast Gans: Hühnerbeine. Die Gäste oder auch Gastgeber, wer will das so genau unterscheiden, haben alles selbst organisiert: Rot- und Grünkohl, Bio-Hühnerbeinchen, Reis und Klöße. Wobei bei den Klößen Ole Zwingelberg einspringen musste, der eigentliche Einkäufer lag mit Corona im Bett. Wie immer achtet Zwingelberg auch hier darauf, dass die Menschen eigenverantwortlich agieren. Die Koordination übernahm die Gruppe selbst, vor allem über die What’s App-Gruppe. Ging das gut, fragen wir Ole? Der grinst: “Weiß ich nicht, ich bin da nicht drin.” Die Herangehensweise des Kaspar-Hauser-Teams zielt auf die größtmögliche Eigenständigkeit der Menschen, die die Einrichtungen nutzen. Die Vorschläge, was an den Café-Kaspar-Nachmittagen inhaltlich läuft, kommen auch aus der Gruppe.“ Da müsse man oft auch ein wenig Geduld haben, berichtet Ole Zwingelberg. Natürlich unterstützt er die Gruppe, wenn Bedarf angemeldet wird. Für den Abend heute hat er übrigens die Getränke besorgt – sein Beitrag.

Cafe Kaspar Auswahl Bearbeitet 2
Gemeinsam freut sich die Gruppe auf die leckeren Hühnerbeinchen
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Die Jüli 30 hat die Kaspar-Hauser-Stiftung mit Unterstützung der Aktion Mensch realisiert. Ole Zwingelberg ist es wichtig, dass der Kieztreff auch nach außen Strahlkraft besitzt. Deshalb war die Herrichtung des Außenbereichs mit Beeten und Umrandung auch eine wichtige Maßnahme. Aufsehen erregend war dabei vor allem eine Aktion, bei der die Mauer, die die Beete umrandet, mit Legosteinen komplettiert wurde. Diese hat Ole Zwingelberg gemeinsam mit den Stammgästen der Jüli 30 umgesetzt, was ein voller Erfolg war. Leider fiel ein Großteil der Lego-Installation Vandalismus zum Opfer. Kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, findet Ole und plant bereits die nächste Lego-Aktion an derselben Stelle. Diesmal mit einem besseren Kleber.

Mit seinem Job hier im Kiez hat Ole Zwingelberg auch eine Stelle im Quartiersrat übernommen. Das findet er sehr interessant, vor allem wegen der guten Vernetzung im Kiez, die das mit sich bringt. Insgesamt ist er seit drei Jahren bei der anthroposophisch geprägten Kasper-Hauser-Stiftung beschäftigt. Eine gute Zeit, wie er findet: Seine Arbeitgeberin lässt ihm ein Maximum an Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit. Eine Freiheit, die er gern weitergibt an die Gäste. Die kommen gern, wovon wir uns heute überzeugen konnten. Und wie sieht die Abteilungsleiterin seine Arbeit, wollen wir noch wissen?! Beate Ufertinger lächelt: “Er hat unheimlich viel geleistet in dieser kurzen Zeit, so kann es weitergehen.“ Also freuen wir uns auf eine weiterhin gute Zeit für die Jüli 30!

Cafe Kaspar Auswahl Bearbeitet 3
Kommt vorbei, von 15 bis 18 Uhr an jedem zweiten Dienstag
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Text: Johannes Hayner
Fotos: Conrad Kirchner, Johannes Hayner